Auszug aus: Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. (c) Libertad Verlag Potsdam 1994. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich für EUR 25,00 unter ISBN-Nr.: 3-922226-21-3. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches] 

11. Der Anarchosyndikalismus als soziokulturelle Bewegung abseits gewerkschaftlicher Zusammenhänge

11. 1. 3. Die anarchosyndikalistischen Frauenbünde

Eine Bewertung der Fraueninitiativen in der FAUD muß zunächst vor dem Hintergrund des erst nach dem Ersten Weltkrieg erlangten Frauenwahlrechts erfolgen. Noch bis ins Jahr 1908 war es den Frauen untersagt, sich in politischen Verbänden zu organisieren oder auch nur an Versammlungen mit politischem Charakter teilzunehmen. Ein Engagement in einer antiparlamentarischen Bewegung, wie es für den Anarchosyndikalismus uneingeschränkt zutrifft, konnte deshalb für die unmittelbaren Ziele der Frauen unzweckmäßig erscheinen, zumal die restriktivsten Verordnungen der Kaiserzeit überwiegend aufgehoben worden waren. Die Wahlbeteiligung der Frauen war dementsprechend mit fast 80% bei der ersten Reichstagswahl im Jahre 1918 besonders hoch und sank erst wieder gegen Ende der Weimarer Republik.(1)

In der Nachkriegszeit verdrängten die aus dem Krieg zurückkehrenden Männer diejenigen Frauen, die, durch die Kriegswirtschaft bedingt, in den industriellen Produktionsprozeß integriert worden waren. Nach einer Phase vorübergehender Selbständigkeit verloren die Industriearbeiterinnen fast über Nacht ihre materielle Unabhängigkeit. Der Verlust ihrer Rolle als Arbeiterinnen blieb in den überwiegenden Fällen mit einer Rollenzuweisung im Rahmen der traditionellen patriarchalischen Familienstrukturen verbunden.

Ähnlich wie in den übrigen Organisationen der Arbeiterbewegung, die ihren Schwerpunkt im reproduzierenden Bereich sahen, maß auch die von Männern dominierte FAUD einer Frauenpolitik mit emanzipatorischen Inhalten nur eine sekundäre Bedeutung zu. Ganz den gewerkschaftlichen Organisationsprinzipien entsprechend, sollten primär Frauen eingegliedert werden, die "irgendeiner Berufsgruppe als produktiv Tätige angehören".(2) Es wurde jedoch schon auf dem Gründungskongreß der FAUD empfohlen, die weiblichen Mitglieder auch in ihrer Tätigkeit als Hausfrauen zu integrieren. Darauf kam es bereits Anfang 1920 in verschiedenen Orten zur Bildung von 'Frauenbünden', die neben der anarchosyndikalistischen Männerorganisation bestanden.(3)
 
 
Ausflug des 'Syndikalistischen Frauenbundes Groß-Berlin' 

Im Verlauf des allgemeinen Mitgliederanstiegs der FAUD konnte bald auch eine organisatorische Ausdehnung des 'Syndikalistischen Frauenbundes' (SFB) verzeichnet werden. Im Oktober 1921 trafen sich die weiblichen FAUD-Mitglieder zur '1. Reichskonferenz der syndikalistischen Frauen' in Düsseldorf. Hier waren Ortsgruppen aus Berlin (ohne Gesamtangabe), Berlin-Lankwitz (70 Mitglieder), Berlin-Oberschöneweide (o. A.), Mülheim (33), Friemersheim (21), Wiesdorf (o. A.), Schweinfurt (24), Duisburg (20), Erfurt (o. A.) vertreten, außerdem gaben die Frauen aus Essen und Krefeld die bevorstehende Gründung von Ortsgruppen bekannt.(4) Aus Kostengründen konnten überdies einige Ortsgruppen aus dem übrigen Reichsgebiet keine Vertreterinnen zum Kongreß entsenden, so daß vermutlich zu diesem Zeitpunkt weitaus mehr Ortsgruppen bestanden haben. Die Zahl der im 'Frauenbund' organisierten Frauen wurde mit insgesamt 300 angegeben; eine im Verhältnis zur Gesamtbewegung unbedeutende Anzahl.(5)

In Erkenntnis ihrer schwachen Position brachten die Frauen auf dem zur gleichen Zeit ebenfalls in Düsseldorf stattfindenden 13. Kongreß der FAUD eine Resolution ein, in der die FAUD erneut verpflichtet wurde, "in allen Orten syndikalistische Frauenbünde ins Leben zu rufen und dafür zu sorgen, daß die Frauen und Töchter aller Syndikalisten Mitglieder dieser Frauenorganisation werden." (6) Um die wirtschaftliche Bedeutung der Frauen zu unterstreichen, wiesen sie darauf hin, daß in "Streik- und Boykottbewegungen [. .] die organisierten Frauen und Mädchen wichtige Dienste leisten" können.(7) Das Tätigkeitsfeld der Frauenbünde sollte sich aber dennoch auf "die Fragen der Mutterschaft, der Erziehung, Bildung und Familie, Körperpflege, Hygiene, Ernährung, Bekleidung und Wohnung" konzentrieren. Im 'Syndikalist' sollte als Forum der weiblichen Mitglieder eine monatliche Frauenbeilage (der 'Frauenbund') erscheinen.

Nachdem sich die Anträge der Frauenkonferenz auf dem Kongreß der FAUD gegenüber denen, die die Auflösung der 'Frauenbünde' verlangten, durchgesetzt hatten, präzisierte Milly Witkop-Rocker (8) die Geschlechterfrage, indem sie anführte, "daß die Frau nicht nur durch die Kapitalisten ausgebeutet, sondern daneben auch noch von der privilegierten Männerwelt entrechtet [werde]. Bei dieser Situation könn[t]en natürlich nicht die Frauen von den Männern erwarten, daß diese ihre Privilegien freiwillig aufgeben, ebensowenig wie das die Kapitalisten [täten]." (9) Als wirksames Agitationsmittel schlug Franz Barwich, der als Mitglied der GK teilnahm, die "Propaganda der Geburtenregulierung" vor, was von einigen Frauengruppen aufgegriffen wurde.(10) Die 'Frauenbünde' gaben sich auf dieser Konferenz einen organisatorischen Aufbau, der die bestehenden Ortsgruppen zu einer Föderation zusammenfaßte. Die Kommunikation der Ortsverbände sollte durch ein regelmäßiges Rundschreiben und eine koordinierende Föderationsgeschäftsleitung mit Sitz in Berlin aufrechterhalten werden.

Neben dem ab Oktober 1921 monatlich erscheinenden 'Frauenbund', der ab 1924 als Beilage des 'Syndikalist' erschien, besaßen die syndikalistischen Frauen in der Düsseldorfer 'Schöpfung' eine weitere Artikulationsmöglichkeit. In der 'Schöpfung' war man nicht abgeneigt, kontroverse Einstellungen von Gruppen mit Sonderinteressen - wie sie auch von den Frauen geäußert wurden - wiederzugeben. Über den Redakteur Fritz Köster bestand eine Verbindung zu der in Dresden erscheinenden Frauenzeitschrift 'Die Schaffende Frau', die Aimée Köster (Kösters Frau) herausgab. Die 'Schöpfung' enthielt eine samstägliche Unterhaltungsbeilage mit Schnittmusterbogen für Frauen- und Mädchenkleidung, die sich nicht an herrschenden Modevorstellungen orientierte. Auch Themen der freiheitlichen Kindererziehung, der Einstellung zur Ehe, des Stellenwertes der Familie und Fragen einer anarchosyndikalistischen Sexualethik wurden angesprochen.

In den Frauenblättern kamen ebenso die führenden Protagonistinnen innerhalb des SFB (beispielsweise Milly Witkop-Rocker und Hertha Barwich) als auch die bekanntesten Vertreterinnen aus der sozialistischen und anarchistischen Frauenbewegung (wie Alexandra Kollontai, Emma Goldman sowie Lilly Braun aus dem Umfeld der USPD) zu Wort. Ein großer Teil der Artikel im 'Frauenbund' stammte von Männern wie Theodor Plievier und Fritz Oerter, die in der Frauenzeitschrift Beiträge zur Ethik und Sexualmoral veröffentlichten.
 
 
"Familientreffen" Berliner FAUD-Mitglieder und ihrer Angehörigen (ca. zweite Hälfte der 20er Jahre)

Die Frauengruppen des SFB widmeten sich überwiegend dem Aufbau von Kindergruppen, arrangierten Märchenvorstellungen und Spiele für die Kinder, förderten die »Freie Schule«, betrieben Sexualaufklärung und organisierten Diskussionsveranstaltungen über den § 218 und den antimilitaristischen Gebärstreik.(11) In Krankheits- und anderen Notfällen praktizierten sie außerdem die gegenseitige Hilfe.(12) Grundsätzlich standen die Syndikalistinnen der Ehe ablehnend gegenüber und propagierten als Alternative die »freie Liebe« und die »freie Mutterschaft«, die sich allerdings in der Realität kaum durchsetzen ließen und sich daher allenfalls in Einzelfällen realisierten.(13) Den damaligen Lebenszusammenhängen der größtenteils verheirateten Frauen entsprechend, definierten sich die »Frauenbündlerinnen« primär über ihre "Rolle als Hausfrau und Mutter", zumal die Einbeziehung der Frauen in den Lohnarbeitsprozeß oftmals nur von vorübergehender Dauer war.(14)

Daß die Organisierung der Frauen außerhalb der gewerkschaftlichen Zusammenhänge stattfinden sollte, stellte den SFB in einer von Männern dominierten Bewegung ins Abseits. Während des 14. Kongresses der FAUD beharrten Hertha Barwich und Milly Witkop-Rocker auf der Autonomie des 'Frauenbundes' und setzten damit erstmals ihr Stimmrecht durch. Ein weiterer Schritt in Richtung Frauenemanzipation wurde getan, als es gelang, die obligatorische Organisierung der weiblichen FAUD-Mitglieder im SFB festzuschreiben. Die Mitgliedsbeiträge für den SFB sollten in diesen Fällen von den Berufsföderationen abgeführt werden.(15)

Um dem SFB eine programmatische Grundlage zu geben, arbeitete Milly Witkop-Rocker eine Prinzipienerklärung aus. In ihr hob sie die besondere Rolle der Frau als Konsumentin hervor, da hier "mit der Waffe des Boykotts" effektiv in den Wirtschaftsbereich eingegriffen werden könnte.(16) Außerdem forderte sie die Gleichstellung der Hausfrauentätigkeit mit der Berufstätigkeit, um dadurch auch die Bedeutung der Frau als Erzieherin zu unterstreichen. Dies kam den kulturrevolutionären Intentionen des Anarchosyndikalismus entgegen, denn die Bewußtseinsentwicklung durch eine freiheitliche Erziehung besaß den zentralen Stellenwert eines gesellschaftsverändernden Ausgangspunktes. So hieß es unmißverständlich: "Erziehung ist der Hebel des Fortschritts." (17) Die Einsicht in die Notwendigkeit eines eigenständigen Frauenverbandes wurde nun »offiziell« anerkannt, und die "besondere[n] Interessen" und Lebenssituationen der Frauen außerhalb der Gewerkschaftsorganisation thematisiert:

"Vor allem leidet die Frau noch neben der kapitalistischen Ausbeutung und der Unfreiheit durch den Staat unter der Geschlechtsnot und der herrschenden Männermoral. In dieser Männermoral sind auch wir Syndikalisten infolge der ganzen Verhältnisse befangen. Durch uns Männer können daher unsere eigenen Frauen nie frei werden, nie die Vorbedingungen für ihre Freiheit in der neuen Gesellschaft erhalten, sondern nur durch sich selbst." (18)

Diese bemerkenswerte Einsicht in die herrschende »Männermoral« der Syndikalisten stellte sich schon bald unter Beweis, als einige Männer in einer Serie von Artikeln im 'Syndikalist' eine Kampagne gegen den SFB eröffneten. Einen thematischen Aufhänger fand die Diskussion in der rhetorischen Frage: "Sind Syndikalistische Frauenbünde notwendig?" Die Gefahr bestand nach Auffassung der Männer darin, daß durch Schaffung separater Frauenorganisationen eine neue, nicht gewerbliche Klasse und ein Dualismus in der Organisation entstehen würden, die ja "letzten Endes keine Versicherungsanstalt" sei.(19)

In die gleiche Kerbe schlug ein Duisburger Syndikalist, der erkannt zu haben glaubte: "Die weibliche Arbeitskraft gehört schon von Natur aus nicht in die Fabriken und Kontore [. . .]." (20) Dieser latente »proletarische Antifeminismus« einiger Syndikalisten entsprach einer verbreiteten Einstellung in der gesamten Arbeiterschaft und ging zumeist mit einer Idealisierung der »Weiblichkeit« einher, die sich an überkommenen Rollenmustern orientierte. Idealisierte Eigenschaften wie »Güte«, »Mütterlichkeit« usw., die den Frauen generell zugeschrieben wurden, glaubte man am sinnvollsten in der Familie wiederzufinden.(21)

Diese Einstellungen als typische Produkte der Arbeiterbewegung zu bewerten, wäre indes problematisch. Denn folgt man der Einschätzung Wilhelm Reichs, dann sind patriarchale Verhaltensmuster in der Arbeiterschaft kaum als besondere Strukturelemente in den Beziehungen zwischen Mann und Frau von der Arbeiterschaft selbst hervorgebracht worden. Wahrscheinlicher ist, daß sie als Lebensgewohnheiten aus anderen Gesellschaftsschichten übernommen wurden:

"Das kleinbürgerliche Schlafzimmer, das sich der »Prolet« anschafft, sobald er Möglichkeit dazu hat, auch wenn er sonst revolutionär gesinnt ist, die dazugehörige Unterdrückung der Frau, auch wenn er Kommunist ist, die »anständige« Kleidung am Sonntag, steife Tanzformen und tausend andere »Kleinigkeiten« haben bei chronischer Wirkung unvergleichlich mehr reaktionären Einfluß, als Tausende von revolutionären Versammlungsreden und Flugzetteln gutmachen können. Das enge konservative Leben wirkt unausgesetzt, dringt in jede Ritze des Alltags ein; die Fabrikarbeit und der revolutionäre Flugzettel wirken dagegen nur stundenweise." (22)

In Anbetracht interner Streitigkeiten, der mangelnden Verwirklichung eigener Grundsätze und der damit konterkarierten Realisierung einer antiautoritären Verhaltenspraxis in der Organisation kam schon 1921 ein interner Beobachter in einer vergleichenden Analyse zu der kritischen Feststellung: "Wir sind eben heute leider in der Lage, nachweisen zu können, daß auch bei uns Theorie und Praxis zwei verschiedene Dinge sind." (23)

In der Reaktion der Frauen gegen das patriarchale Verhalten der Männer in der FAUD kamen erstmalig explizit feministische Gedankengänge zum Ausdruck: "Auch unsere Kameraden betrachten ihre Frauen noch im allgemeinen als Haushaltsbedien[ste]te und willfährige Liebesobjekte! Von einer gerechten Gleichbewertung ist keine Rede." (24) Auf dem 15. Kongreß der FAUD 1925 waren die bescheidenen Einwände von Hertha Barwich und Milly Rocker-Witkop vom 13. Kongreß einer kämpferischeren Haltung gewichen. Den Männern wurden jetzt die persönlichen Erfahrungen ihrer Frauen vorgehalten, wenn es hieß: "Die Männer auch in unserer Bewegung [betrachten] die Frau nur als Sklavin, Magd und Gebärmaschine, nicht als Menschen und Kameradin [. . .]." (25) Auch einige männliche Stimmen klagten nun über die diskriminierenden Einstellungen gegenüber den Frauen.(26)

Von dieser Seite hatte sich die Auffassung durchgesetzt, daß die Erringung der Selbständigkeit der Frauen auch gegen die Interessen der Männer in der FAUD gerichtet sein müsse.(27) Auf dem 15. Kongreß der FAUD(AS), im April 1925, wurde Hertha Barwich in Abwesenheit als Beisitzerin in die Berliner GK gewählt. Die Hoffnung der Männer, damit "eine Stärkung der Frauenorganisation zu erzielen", erfüllte sich jedoch insgesamt nicht.(28)

Um die Position der Frauen in der Organisation zu stärken, versuchte die Föderationsleitung des SFB durch eine Agitationstour Mitglieder für die 'Frauenbünde' zu gewinnen. Diese Veranstaltungsreihe wurde im Mai 1925 in Thüringen durchgeführt und sollte sich vor allem an die Hausfrauen richten, die bis dahin noch von keiner anderen Organisation erreicht worden waren. Die Hauptrednerin Hertha Barwich bezeichnete die Tour im nachhinein als einen Mißerfolg, da es nicht gelungen sei, eine größere Anzahl von Frauen für die Versammlungen zu interessieren.(29)

Die Entwicklung der 'Frauenbünde' verlief trotz der Gründung neuer Ortsgruppen stockend, so daß im Jahre 1925 nur von etwa tausend Frauen im SFB berichtet werden konnte (30), eine Zahl, die in den folgenden Jahren wohl nicht wesentlich überschritten wurde. Der Anteil der als Arbeiterinnen innerhalb der FAUD(AS) organisierten Frauen betrug 1930 nur rund 2,4% (225 von insgesamt 9544 Mitgliedern).(31) Gegen Ende der zwanziger Jahre wurde im 'Frauenbund' auch versucht, die Frauen als Lohnarbeiterinnen anzusprechen. In der FAUD organisierte Fabrikarbeiterinnen waren zu dieser Zeit hauptsächlich in der niederrheinischen Textilindustrie um Krefeld als Band-, Gummi- und Seidenweberinnen beschäftigt.(32) Für den 'Gau Barmen' können 1925 drei anarchosyndikalistische Betriebsrätinnen in der Textilindustrie nachgewiesen werden.(33) Da der überwiegende Anteil der berufstätigen Frauen in der Textilarbeiterföderation der FAUD organisiert war, liegt die Vermutung nahe, daß die Krefelder Textilarbeiterföderation bis 1933 zu einem großen Teil aus Frauen bestand.(34)

Die mangelnde Attraktivität des SFB für die Hausfrauen läßt sich vermutlich mit den arbeitsteiligen Rollenzuweisungen in den Familien begründen, die den Frauen keine formellen Organisationsmöglichkeiten offen ließen. Das tradierte Rollenverhalten der Frauen und Männer erwies sich somit als ein dominierendes Verhaltensmuster, aus dem nur Einzelne ausbrechen konnten.(35)

Die weit verbreitete Einstellung der anarchosyndikalistisch organisierten Männer zur Frage der Frauenarbeit beschränkte sich ohne Zweifel auf die wiederholt geäußerte Forderung nach der Loslösung der Frauen aus den betrieblichen Arbeitsprozessen:

"Die Arbeiterorganisationen müssen, solange Frauenarbeit geringer als Männerarbeit bewertet wird, mit allen Kräften dafür sorgen, daß die Frauenarbeit möglichst ausgeschaltet wird. Wichtiger aber noch ist, daß dafür gesorgt wird, daß die Löhne von Mann und Frau gleich sind. Und wichtig ist, daß die Löhne der Männer so hoch geschraubt werden, daß die Frau, wenn sie Kinder zu versorgen hat, nicht verpflichtet ist, noch berufstätig zu sein." (36)

Daß die Abschaffung der Lohnarbeit für die Frauen durch die gesteigerten Lohnsätze der Männer ermöglicht werden sollte, betrachteten die Männer anscheinend als »Luxus« und als »Befreiung von der Lohnsklaverei«, ein Privileg, das bis dahin vornehmlich den bürgerlichen Kreisen vorbehalten geblieben war. Zudem erlebten die Männer ihren Arbeitsalltag überwiegend als eine gesundheitsaufreibende Tätigkeit zum bloßen Zweck der physischen Reproduktion und weniger als eine Möglichkeit zur Entfaltung einer persönlichen Individualität. (37)

Trotz dieses offensichtlichen Grundwiderspruchs der anarchosyndikalistischen Frauenpolitik kann jedoch nicht ohne weiteres auf einen "omnipräsenten, die damaligen patriarchalen Gesellschaftsverhältnisse ideologisch zementierenden biologischen Determinismus" (38) geschlossen werden, der den Frauen mangelnde Fähigkeiten auf unterschiedlichsten Gebieten attestierte. Die emanzipatorischen Inhalte in den diesbezüglichen Diskussionen in der FAUD können "mit der heutigen Form nur partiell verglichen werden", wie Angela Vogel zu Recht einschränkt. (39) Besonders auffällig ist allerdings die Teilnahmslosigkeit, mit der diskriminierende Äußerungen von beiden Geschlechtern hingenommen wurden.(40)

Das Scheitern der syndikalistischen 'Frauenbünde' ist darauf zurückgeführt worden, daß einerseits die vorgegebenen Organisationsstrukturen der FAUD den Bedürfnissen der Hausfrauen nach informellen Zusammenschlüssen nicht entsprachen und daß die Frauen andererseits durch die Konfrontation mit den "widersprüchlichen Verhaltensweisen" der Männer nachhaltig abgeschreckt wurden.(41)
 

[Fortsetzung Leseprobe: 11.1.6. Die 'Schwarzen Scharen': Eine »paramilitärische auf den entstehenden Nationalsozialismus]


Anmerkungen

(1) Siehe das Kapitel 8: "Sind anarchistische Frauenbünde notwendig?" oder "Wie weiblich ist die Anarchie?", in: U. Klan u. D. Nelles, »Es lebt noch eine Flamme«, S. 297.

(2) Siehe: "Die Erfassung der Frauen", in: Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus, S. 13.

(3) Vgl. C. Regin, "Hausfrau und Revolution. Die Frauenpolitik der Anarchosyndikalisten in der Weimarer Republik", in: IWK, 25. Jg. (1989), Nr. 3, S. 381.

(4) 'Protokoll der 1. Reichskonferenz der syndikalistischen Frauen' in: 'Der Schöpfung', 1. Jg. (1921), Nr. 88.

(5) 'Die Schöpfung', 1. Jg. (1921), Nr. 89.

(6) 'Die Schöpfung', 1. Jg. (1921), Nr. 88.

(7) Ebd.

(8) Milly Witkop (1886-1955), eine Jüdin ukrainischer Abstammung, war die Lebensgefährtin Rudolf Rockers, den sie 1896 in London kennengelernt hatte.

(9) 'Die Schöpfung', 1. Jg. (1921), Nr. 89.

(10) Vom SFB Wiesdorf wurde am 28. 10. 1921 eine Veranstaltung zum Thema durchgeführt. Siehe: 'Die Schöpfung', 1. Jg. (1921), Nr. 90. Der Friemersheimer SFB befaßte sich am 4. 11. 1921 ebenfalls mit dem Thema Gebärstreik. Siehe: 'Die Schöpfung', 1. Jg. (1921), Nr. 95.

(11) Eine Veranstaltungsreihe des 'Frauenbundes' Groß-Berlin zum Thema "antimilitaristischer Gebärstreik" zog beispielsweise Anfang 1921 über 2200 Besucher und Besucherinnen an. Vgl. C. Weghoff, Die Frauenpolitik der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) 1921-1932. Eine Untersuchung auf der Grundlage ausgesuchter Quellen, Staatsexamensarbeit, Göttingen 1984, S. 40.

(12) Vgl. U. Klan u. D. Nelles, »Es lebt noch eine Flamme«, S. 301.

(13) Ebd., S. 314 ff.

(14) C. Regin, Hausfrau und Revolution, S. 383.

(15) Siehe das 'Protokoll des 14. Kongresses der FAUD vom 21. und 22. 11. 1922', abgedruckt, in: 'Der Syndikalist', 4. Jg. (1922), Nr. 50/51.

(16) M. Witkop-Rocker, Was will der syndikalistische Frauenbund, 2. Aufl., Berlin 1923, S. 4.

(17) K. Roche, Der proletarische Ideenmensch, Berlin 1920, S. 14.

(18) Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus, S. 13.

(19) 'Der Syndikalist', 6. Jg. (1924), Nr. 33. Eine detailliertere Darstellung der Diskussion findet sich bei U. Klan u. D. Nelles, »Es lebt noch eine Flamme«, S. 306 ff.

(20) 'Der Syndikalist', 6. Jg. (1924), Nr. 43.

(21) Vgl. C. Regin, Hausfrau und Revolution, S. 388.

(22) W. Reich, Die Massenpsychologie des Faschismus, S. 80. Die mit der Auflösung proletarischer Lebenszusammenhänge einhergehende Tendenz zur "Verkleinbürgerlichung" wurde von dem rätekommunistischen Theoretiker Otto Rühle für den Bereich der Arbeitswelt ausgeklammert. Vgl. O. Rühle, Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats, Bd. 2, S. 410 ff. Der Anarchosyndikalist Rudolf Rocker stellte indessen auch die radikalisierende Auswirkung der dualistischen Ausdifferenzierung zwischen Alltags- und Arbeitswelt in Frage. Vgl. R. Rocker, Die Rationalisierung der Wirtschaft und die Arbeiterklasse, S. 81 f.

(23) 'Die Schöpfung', 1. Jg. (1921), Nr. 50.

(24) »Franziska« Krischer, "Sind syndikalistische Frauenbünde notwendig?", in: 'Der Syndikalist', 6. Jg. (1924), Nr. 37.

(25) T. Caspers im Protokoll über die Verhandlungen vom 15. Kongreß der FAUD(AS) in Dresden (1925), S. 69.

(26) Intern wurden die vorherrschenden männlichen Verhaltensmuster z. B. in folgender Weise geschildert: "Welche feinfühlige Kameradin oder welchen Kameraden hat noch nicht gegraut vor dem Ton in unseren Versammlungen den Frauen und gar den Kellnerinnen gegenüber?" Siehe W. Wagner, "Klein aber rein" oder "heran an die Masse", in: 'Die Debatte', 1930, Nr. 5. Walter Wagner war der 1. Vorsitzende des RVfG in Alt-Chemnitz.

(27) Vgl. die Aussagen R. Rockers im 'Protokoll des 15. Kongresses der FAUD(AS)', S. 72.

(28) Siehe das 'Protokoll des 16. Kongresses', S. 19.

(29) 'Der Syndikalist', 7. Jg. (1925), Nr. 17.

(30) 'Der Syndikalist', 7. Jg. (1925), Nr. 26. Im Januar 1926 wurde die Gründung einer 30köpfigen Gruppe in Stuttgart bekanntgegeben. Vgl. 'Der Frauenbund', (1926), Nr. 1.

(31) Siehe das Ergebnis einer Fragebogenaktion der GK, in: IISG, Nachlaß IWMA-Archiv (Albert de Jong), Nr. 59. Demnach betrug der Anteil der Frauen in der FAUD im Rheinland 7,8% (60% aller Frauen insgesamt), Nord-Bayern (10%), Niedersachsen (5,9%), Süd-Bayern (5%), Nord-West (4,9%), Süd-West (3%), Sachsen (1,3%), Württemberg (0,6%), Groß-Thüringen (0,55%) und Brandenburg/Pommern (0,35%).

(32) Vgl. U. Klan u. D. Nelles, »Es lebt noch eine Flamme«, S. 299. Direkt an die Textilarbeiterinnen richtet sich der Aufruf "Lohnarbeit der Frau" im 'Frauenbund', 1929, Nr. 2.

(33) Vgl. U. Klan u. D. Nelles, »Es lebt noch eine Flamme«, S. 310.

(34) Krefeld blieb bis 1933 ein Zentrum der FAUD(AS) mit etwa 400 bis 500 Mitgliedern und zwei Industrieföderationen ('Textil' und 'Metall'). Vgl. R. Theissen (u. a.), Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr, S. 81.

(35) Vgl. dazu die Einschätzung von C. Regin, Hausfrau und Revolution, S. 396 f.

(36) 'Der Syndikalist', 8. Jg. (1926), Nr. 48.

(37) Der 'Syndikalist' berichtete wöchentlich oft von mehreren tödlichen Arbeitsunfällen.

(38) Siehe: H. van der Berg, "»Frauen, besonders Frauenrechtlerinnen, haben keinen Zutritt!«. Misogynie und Antifeminismus bei Erich Mühsam", in: IWK, 28. Jg. (1992), Nr. 4, S. 481. Diese Einschätzung bezieht sich primär auf die Ansichten von Anarchisten um die Jahrhundertwende.

(39) A. Vogel, Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S. 286 (Anm. 689).

(40) Der Klage von »W. B.« über die "Klatschsucht der Frauen", die den Männern durch ihre "reaktionäre Einstellung in den Rücken fallen" würden, war die Schilderung einer gescheiterten Beziehung vorangegangen. Dieser Beitrag im 'Frauenbund', 1926, Nr. 4 löste z. B. keine nachweisbare Reaktion aus.

(41) Vgl. C. Weghoff, Die Frauenpolitik der Freien Arbeiter-Union Deutschlands . . ., S. 95.


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