Vor allem die organisationsgeschichtlichen Ausführungen über
die verschiedenen anarchosyndikalistischen Zusammenschlüsse der Seeleute
bieten viele unbekannte Fakten. Sie ergänzen das Wissen über
das organisatorische Spektrum einer Berufsgruppe, über die keine neueren
sozialgeschichtlichen Forschungen vorliegen und die von der Gewerkschaftsgeschichte
entweder ausgeklammert oder als passives Opfer kommunistischer Machenschaften
dargestellt wurde. In diesem Zusammenhang sind zwei bemerkenswerte
Dinge festzuhalten.
Bereits im Dezember 1918 entstand eine linksradikale Organisation unter
den Seeleuten: der »Internationale Seemannsbund« später
umbenannt in »Deutscher Seemannsbund« (DSB) Zudem entwickelte
sich auch unter den Binnenschiffern eine anarchosyndikalistische Organisation:
der »Verband der Binnenschiffer« (S. 123). Für viele Seeleute
und auch Hafenarbeiter spielte der DSB, der im September 1919 schon 18.000
Mitglieder verzeichnete, in den Konflikten der Nachkriegsjahre eine wichtige
Rolle (S. 943. Im ihm gab es Sympathien
sowohl für Bündnisse mit der Allgemeinen Arbeiter-Union als
auch für solche mit der FAUD. Im Mai 1922 trennte sich die seit September
1920 »Deutscher Schiffahrtsbund« genannte Organisation schließlich
von der FAUD und näherte sich immer mehr dem sozialdemokratischen
Deutschen Verkehrsbund an; formal erfolgte der Zusammenschluß im
Januar 1926 (S. 113). Rübner konstatiert abschließend: »Am
Ende eines mehrjährigen Klärungsprozesses erstarrte die radikale
Seeleutebewegung zu einer funktionalisierten Berufsorganisation ohne revolutionäre
Ansprüche« (S. 1143). Zum zweiten konnte Rübner herausarbeiten,
daß sich in norddeutschen Hafenstädten bereits im Herbst 1919
Hinweise auf eine Propaganda der »Industrial Workers of the World«
finden lassen. Vor allem in Stettin bestanden die Kontakte zur IWW auch
noch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, wobei Otto Rieger die
führende Persönlichkeit war (S. 119f.).
In seinen Ausführungen über die FAUD zwischen Kulturbewegung und Gewerkschaftsorganisation zeigt Rübner, wie sich die Organisation seit Ende der 1920er Jahre von der abstrakten kultursozialistischen theoretischen Aufklärungsarbeit mehr betriebsbezogenen, praktischen Alltagsdingen, wie zum Beispiel der Gründung von Betriebszellen oder der Betriebsrätearbeit zuwandte (S. 164f.). Doch selbst dieser Kurswechsel konnte den Mitgliederverlust nicht bremsen. Dies betraf auch Rheinland-Westfalen als frühere Hochburg, wobei sich hier die FAUD-Mitgliederbasis von den Großbetrieben in handwerklich geprägte Klein- und Mittelbetriebe verlagerte (S. 166). Wie Rübner abschließend nochmals betont, gelang es der FAUD erst nach 1925, sich von ihren starren Prinzipien zu lösen, indem sie, »wenn auch zu spät ... die Partizipation an den tarifgesetzlichen Institutionen« anstrebte (S. 261). Diese neue Orientierung spaltete die Organisation jedoch in zwei Fraktionen. Die »radikalgewerkschaftliche Fraktion« setzte darauf, mit Hilfe ihrer Funktionäre auf betrieblicher Ebene zu agitieren, während sich die zweite Richtung dem »Genossenschaftssozialismus Landauerscher Prägung« näherte und die ausschließliche Fixierung auf die Industriearbeiterschaft aufgeben wollte (S. 261).
Rübners Buch hat seine Stärken, wenn es um die organisationsgeschichtliche Darstellung einer bislang immer wieder vergessenen gewerkschaftlichen Tradition geht. Aufgrund des im Rahmen einer Diplomarbeit zwangsläufig eingeengten methodischen Ansatzes fehlen jedoch systematische sozial- und alltagsgeschichtliche Analysen (z.B. die von Arbeits- und Lebensbedingungen oder der Alltags- und Konfliktkultur verschiedener Berufsgruppen). Erst damit ließe sich der aus dieser Perspektive immer noch ungenügend erforschte Aufstieg und Niedergang der syndikalistisch/unionistischen Bewegungen und Organisationen fundiert erklären.
aus: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und
21. Jahrhunderts , Heft 1/96, S.114f.