Materialien zu: Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. (c) Libertad Verlag Potsdam 1994. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich für EUR 25,00 unter ISBN-Nr.: 3-922226-21-3. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches] 

Buchbesprechung in „1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts"

Die von Hartmut Rübner vorgelegte Studie über die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) ist die überarbeitete und erweiterte Fassung einer an der Universität Bremen angefertigten politikwissenschaftlichen Diplomarbeit. Die Quellengrundlage bilden vor allem Zeitungen und Zeitschriften der FAUD, aber auch einige Archivmaterialien. Der Untersuchungszeitraum reicht von den 1880er Jahren bis zur Zerschlagung der FAUD durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933, der Schwerpunkt liegt jedoch in der Weimarer Republik. Die Arbeit richtet ihr Hauptaugenmerk auf die syndikalistische Seeleutebewegung, es finden sich aber auch Ausführungen über den organisatorischen Aufbau und die Sozialstruktur der FAUD, über ihr Verhältnis zum Linkskommunismus sowie längere Kapitel über den Anarchosyndikalismus als soziokulturelle Bewegung (u.a. Frauenbünde, Kinder- und Jugendgruppen sowie die paramilitärischen »Schwarzen Scharen«). Eine kommentierte Bibliographie über die Presse des deutschen Anarchosyndikalismus von 1914-1939 und eine Bilddokumentation runden die Darstellung ab.

Vor allem die organisationsgeschichtlichen Ausführungen über die verschiedenen anarchosyndikalistischen Zusammenschlüsse der Seeleute bieten viele unbekannte Fakten. Sie ergänzen das Wissen über das organisatorische Spektrum einer Berufsgruppe, über die keine neueren sozialgeschichtlichen Forschungen vorliegen und die von der Gewerkschaftsgeschichte entweder ausgeklammert oder als passives Opfer kommunistischer Machenschaften dargestellt wurde. In diesem Zusammenhang sind zwei bemerkenswerte
Dinge festzuhalten.

Bereits im Dezember 1918 entstand eine linksradikale Organisation unter den Seeleuten: der »Internationale Seemannsbund« später umbenannt in »Deutscher Seemannsbund« (DSB) Zudem entwickelte sich auch unter den Binnenschiffern eine anarchosyndikalistische Organisation: der »Verband der Binnenschiffer« (S. 123). Für viele Seeleute und auch Hafenarbeiter spielte der DSB, der im September 1919 schon 18.000 Mitglieder verzeichnete, in den Konflikten der Nachkriegsjahre eine wichtige Rolle (S. 943. Im ihm gab es Sympathien
sowohl für Bündnisse mit der Allgemeinen Arbeiter-Union als auch für solche mit der FAUD. Im Mai 1922 trennte sich die seit September 1920 »Deutscher Schiffahrtsbund« genannte Organisation schließlich von der FAUD und näherte sich immer mehr dem sozialdemokratischen Deutschen Verkehrsbund an; formal erfolgte der Zusammenschluß im Januar 1926 (S. 113). Rübner konstatiert abschließend: »Am Ende eines mehrjährigen Klärungsprozesses erstarrte die radikale Seeleutebewegung zu einer funktionalisierten Berufsorganisation ohne revolutionäre Ansprüche« (S. 1143). Zum zweiten konnte Rübner herausarbeiten, daß sich in norddeutschen Hafenstädten bereits im Herbst 1919 Hinweise auf eine Propaganda der »Industrial Workers of the World« finden lassen. Vor allem in Stettin bestanden die Kontakte zur IWW auch noch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, wobei Otto Rieger die führende Persönlichkeit war (S. 119f.).

In seinen Ausführungen über die FAUD zwischen Kulturbewegung und Gewerkschaftsorganisation zeigt Rübner, wie sich die Organisation seit Ende der 1920er Jahre von der abstrakten kultursozialistischen theoretischen Aufklärungsarbeit mehr betriebsbezogenen, praktischen Alltagsdingen, wie zum Beispiel der Gründung von Betriebszellen oder der Betriebsrätearbeit zuwandte (S. 164f.). Doch selbst dieser Kurswechsel konnte den Mitgliederverlust nicht bremsen. Dies betraf auch Rheinland-Westfalen als frühere Hochburg, wobei sich hier die FAUD-Mitgliederbasis von den Großbetrieben in handwerklich geprägte Klein- und Mittelbetriebe verlagerte (S. 166). Wie Rübner abschließend nochmals betont, gelang es der FAUD erst nach 1925, sich von ihren starren Prinzipien zu lösen, indem sie, »wenn auch zu spät ... die Partizipation an den tarifgesetzlichen Institutionen« anstrebte (S. 261). Diese neue Orientierung spaltete die Organisation jedoch in zwei Fraktionen. Die »radikalgewerkschaftliche Fraktion« setzte darauf, mit Hilfe ihrer Funktionäre auf betrieblicher Ebene zu agitieren, während sich die zweite Richtung dem »Genossenschaftssozialismus Landauerscher Prägung« näherte und die ausschließliche Fixierung auf die Industriearbeiterschaft aufgeben wollte (S. 261).

Rübners Buch hat seine Stärken, wenn es um die organisationsgeschichtliche Darstellung einer bislang immer wieder vergessenen gewerkschaftlichen Tradition geht. Aufgrund des im Rahmen einer Diplomarbeit zwangsläufig eingeengten methodischen Ansatzes fehlen jedoch systematische sozial- und alltagsgeschichtliche Analysen (z.B. die von Arbeits- und Lebensbedingungen oder der Alltags- und Konfliktkultur verschiedener Berufsgruppen). Erst damit ließe sich der aus dieser Perspektive immer noch ungenügend erforschte Aufstieg und Niedergang der syndikalistisch/unionistischen Bewegungen und Organisationen fundiert erklären.

Klaus Weinhauer

aus: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts , Heft 1/96, S.114f.


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