Materialien zu: Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. (c) Libertad Verlag Potsdam 1994. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich für EUR 25,00 unter ISBN-Nr.: 3-922226-21-3. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches] 

Buchbesprechung in „IWK – Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung"

(...) Die Arbeit von Rübner basiert auf einer erweiterten und überarbeiteten politikwissenschaftlichen Diplomarbeit an der Universität Bremen. In den ersten sechs Kapiteln faßt Rübner die bisherigen Forschungsergebnisse über den Anarchismus im Kaiserreich, die FVdG, die Entwicklung der FAUD, deren organisatorischen Aufbau, Sozialstruktur, oppositionelle Strömungen und deren Verhältnis zum organisierten Linkskommunismus zusammen und ergänzt sie hier und da in einigen Details.

Ein auf eigenen Forschungen basierendes Kapitel widmet Rübner dem anarchosyndikalistischen Einfluß in der Seeleute- und Schifferbewegung, der bislang völlig unbekannt war. Der 1919 gegründete "Deutsche Seemannsbund", seit 1920 "Deutscher Schiffahrtsbund" (DSB) war die einzige syndikalistische Organisation in Deutschland, deren Mitgliederzahl zeitweise höher war als die der entsprechenden Berufsorganisation des ADGB. Die Affinität der Seeleute zu syndikalistischen Organisations- und Aktionsformen war ein internationales Phänomen und war begründet in den spezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Berufsgruppe. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte der der FVdG angeschlossene "Syndikalistische Industrieverband, Gruppe Transportarbeiter" 450 Seeleute organisieren können, die 1914 durch spektakuläre Streiks auf den Passagierdampfern der HAPAG für großes Aufsehen sorgten.

Nach langen und kontroversen Diskussionen schloß sich der DSB Anfang 1920 der FAUD an. Dieser Beschluß blieb immer umstritten, denn im DSB waren so gut wie alle ideologischen Strömungen des Linksradikalismus vertreten: Sympathisanten der AAU, der KPD und der amerikanischen Industrial Workers of the World (IWW). Die Frage des internationalen Zusammenschlusses wurde zum Dreh- und Angelpunkt im DSB. Vor allem die starke Hamburger Sektion unter Albert Walter (KPD) wollte den Anschluß an die Rote Gewerkschafts-Internationale (RGI), der schließlich 1922 vollzogen wurde und zur Trennung von der FAUD führte. Danach erfolgte in Anlehnung an die Strategie der RGI eine schrittweise Hinwendung zum zentralgewerkschaftlichen Verkehrsbund. Gegen zum Teil heftigen Widerstand der eigenen Basis führten die jahrelangen Verhandlungsbemühungen zum Anschluß des DSB an den Verkehrsbund. "Am Ende eines mehrjährigen Klärungsprozesses erstarrte die radikale Seeleutebewegung zu einer funktionalisierten Berufsorganisation ohne direkte revolutionäre Ansprüche. Der gewerkschaftliche Erfolg blieb der radikalen Seeleutebewegung trotz ihrer quantitativen Stärke versagt." Dies führt Rübner vor allem darauf zurück, "daß die Reeder und Hafenbetriebsvereine gewöhnlich den DSB als gewerkschaftliche Interessenvertretung boykottierten und nur die Verbände des ADGB anerkannten" (S. 114).

Auch unter den Binnenschiffern kam es Ende 1918 zu einer syndikalistischen Abspaltung. Der "Verband der Binnenschiffer" (VdB) konnte weit über 1000 Mitglieder mobilisieren, von denen sich der größte Teil nach dem Kapp-Putsch wieder dem gewerkschaftlichen Zentralverband anschloß. Als kleine, mit der FAUD eng verbundene Organisation bestand der VdB bis 1933. Der Geschäftsführer des VdB war Robert Schlisch, einer der führenden Funktionäre der FAUD in Schlesien. Schlisch war bis 1919 festangestellter Sekretär des Transportarbeiterverbandes in Breslau und Teilnehmer am Gründungskongreß der KPD.

Im Vergleich zu den anderen linksradikalen Organisationen konnte sich die FAUD, die 1925 ca. 25000 Mitglieder hatte, auf einem relativ hohen organisatorischen Niveau stabilisieren. Trotz einer verstärkten Hinwendung zu gewerkschaftlichen Fragen und betrieblicher Basisarbeit, die zu einer beträchtlichen Modifikation anarchosyndikalistischer Prinzipien führten - Teilnahme an den Betriebsrätewahlen und Anerkennung tariflicher Kollektivverträge - konnte die FAUD einen weiteren Mitgliederverlust nicht bremsen. Nicht unbedeutend war dabei, daß 1930 der FAUD durch das Reichsarbeitsgericht jegliche Vertretungsberechtigung als wirtschaftliche Vereinigung abgesprochen wurde und sie somit ihre Mitglieder nicht vor Arbeitsgerichten vertreten durfte.

Die organisatorische und ideengeschichtliche Entwicklung FAUD von 1925 bis 1933 wird von Rübner in drei Kapiteln zusammengefaßt. Dabei hat er erstmals systematisch die "Internationale", die Theoriezeitschrift der FAUD, analysiert. Ende der 20er Jahre vollzog sich ein Generationswechsel in der FAUD. Die jüngeren Funktionäre, die nicht als radikale Gewerkschafter, sondern über die anarchistische Jugendbewegung zur FAUD gekommen waren, setzten praktisch und theoretisch andere Akzente.*) Insbesondere Gerhard Wartenberg, einer der produktiveren Theoretiker der FAUD, setzte sich intensiv mit dem Marxismus auseinander. Dessen "ganzer dialektischer Anlage" attestierte er theoretisch einen "Vorsprung vor dem freiheitlichen Sozialismus" (S. 153). Solche Interpretationen unterschieden sich erheblich von den Theorien Rudolf Rockers, der in der Tradition Gustav Landauers dezidiert antimarxistische Positionen vertrat.

Ausführlich geht Rübner in einem großen Kapitel auf den Anarchosyndikalismus als sozialkulturelle Bewegung ein. Neben der Zusammenfassung der bisher erschienenen Literatur zu den Frauenbünden, Kinder- und Jugendorganisationen, Genossenschafts- und Siedlungsprojekten sowie den Schwarzen Scharen, findet sich bei Rübner erstmals eine ausführliche Darstellung über die "Gilde freiheitlicher Bücherfreunde" und das Engagement der Anarchosyndikalisten in der Sexualreform- und Freidenkerbewegung. Abschließend kommt Rübner zu folgendem Ergebnis: "Die FAUD (AS) überstand die Zeit bis zum Ende der Weimarer Republik nicht zuletzt durch die Fähigkeit ihrer lokalen Funktionäre, einen Kaderstamm von qualifizierten Handwerkern sowie ein Restpotential in der Industriearbeiterschaft organisatorisch zu binden. Bis zu einem hohen Grade gelang noch dazu die Integration von arbeitslosen Mitgliedern. Die Präsenz ihrer engagiertesten Mitglieder in linksgerichteten Kulturverbänden sicherte der FAUD (AS) die Aufrechterhaltung ihrer gesellschaftlichen Bezüge. In ihrer Vielfalt trugen alle divergierenden Aktivitäten ihren Teil zum Bestand der Gesamtorganisation bei" (S. 262).

Im Anhang des Buches findet sich eine kommentierte Bibliographie über die "Presse des deutschsprachigen Anarchosyndikalismus (1914-1939)", die 139 Titel umfaßt und auf der Pressedokumentation der "Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus (DadA) Berlin/Köln" basiert. Hervorzuheben ist das ausführliche Register, das Personen, Organisationen, Periodika und Orte umfaßt.

Insgesamt gesehen bietet die Arbeit von Rübner einen gut strukturierten Überblick über die anarchosyndikalistische Bewegung der Weimarer Republik. Darüber hinaus bringt sie neue Erkenntnisse über die syndikalistische Seeleutebewegung und das kulturpolitische Engagement der Anarchosyndikalisten. Dennoch: Außer Ansätzen für das rheinisch-westfalische und norddeutsche Industriegebiet sind fundierte sozialhistorische Studien über die syndikalistische/unionistische Bewegung noch immer ein Desiderat der Forschung. (...)

Aus: Dieter Nelles: „Syndikalismus und Unionismus. Neuere Ergebnisse und Perspektiven der Forschung", in: IWK – Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 31. Jg., Sept. 1995, H. 3, S. 350-352
 

Anmerkung

*) Der Generationswechsel in der FAUD wird von Rübner in einer Lokalstudie dargestellt. Vgl. Ders. Bremer Anarchosyndikalistlnnen gegen Ende der Weimarer Republik, in: Schwarzer Faden. Nr. 48 (I/ S. 62-67.


Materialien zu: Materialien zu: Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. (c) Libertad Verlag Potsdam 1994. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich für EUR 25,00 unter ISBN-Nr.: 3-922226-21-3. [Zurück zur Inhaltsübersicht des Buches]